Meinungen

«Mein Senf»: Service selbstverständlich

In der Rubrik «Mein Senf» zeigt dieses Mal Ursina Haller (29) auf, warum sie es lohnenswert findet, wenn man sich über den Service public Gedanken macht.

«Espresso oder Latte frühmorgens? Kino oder TV nach Feierabend? Mit Tram oder Velo in die Stadt? Turnschuhe oder Stiefelette an die Füsse? Selfie oder Sonnenuntergang als Profilbild? Ja, sie sind einnehmend, die kleinen Entscheidungen des Alltags. Ohne dass wir es uns bewusst sind, packen sie unser Leben voll. Bei dieser dichtgedrängten Entscheidungslage bleibt oftmals keine Kapazität für Gedanken über Dinge, die über die kurzfristige Befriedigung der Bedürfnisse hinausgehen. Mal ganz ehrlich: Wie oft besetzt die Wahl der Freizeitbeschäftigung, Form der Selbstdarstellung oder Stil der Klamotte unsere Aufmerksamkeit, während Abstimmungsunterlagen im Altpapier landen?

Das kommt nicht von ungefähr. Das funktionierende Gemeinwesen ist für uns junge Schweizerinnen und Schweizer eine Selbstverständlichkeit. Wir sind mit Service public aufgewachsen, ohne überhaupt zu wissen, was das genau ist. Qualitätsinfrastruktur und öffentliche Dienstleistungen gehören fraglos zu unserem Leben: Wir stellen unseren Müll zum Abholen auf die Strasse, lassen den gebrochenen Arm im Spital behandeln und fahren über den makellosen Asphalt unserer Autobahnen.

Auch bei der medialen Grundversorgung ist das nicht anders. Wir sind mit dem «Guetnachtgschichtli» gross geworden, die «Tagesschau» hat uns an den Ernst der Welt herangeführt und «Sport Live» kann die ganze Nation auch mal länger an das Sofa binden. Ein Knopfdruck genügt - und schon plätschern die Sendungen aus der Dose. Dabei wissen wir wie bei anderen Angeboten der öffentlichen Hand kaum, wie es zu diesen kommt. Zumindest mir ging es so. Bis ich in den Publikumsrat von Radio e Televisiun Rumantscha berufen wurde, wusste ich ungefähr soviel über die Organisationsform des Schweizer Radio und Fernsehens wie über die Techniken des Strassenbaus: Herzlich wenig.

Jeder Einzelne kann Einfluss nehmen

So erfuhr ich erst vor Kurzem, dass die Trägerschaft der SRG als Verband von Vereinen konzipiert ist, dem alle Interessierten beitreten können. SRG-Mitglieder nehmen Einfluss auf die Tätigkeit der Regionalgesellschaften. Sie wählen deren Vorstand und Vertretungen; unter anderem auch den repräsentativen Publikumsrat, der seinerseits die Programmarbeit unterstützt und entsprechende Feststellungen, Vorschläge und Anregungen macht. Alle Schweizer Bürgerinnen und Bürger haben hiermit die Möglichkeit, auf die Arbeitsweise und Zukunft von Schweizer Radio und Fernsehen Einfluss zu nehmen. Das ist auch gut so: Nicht nur bezahlen wir Empfangsgebühren, sondern bestimmen durch die audiovisuellen Medien unsere Wahrnehmung der Welt, in der wir leben, massgeblich mit und sind somit Grundlage gesellschaftlicher Entscheidungen.

Radio und Fernsehen folgen der demokratischen Tradition unseres Landes. Das ist genauso wenig selbstverständlich wie das kristallklare Leitungswasser, das wir hierzulande geniessen. Es ist lohnenswert, über die öffentliche Sache nachzudenken und sich die Zeit zu nehmen, die eigene Meinung an der Urne abzugeben. Im Gegensatz dazu entscheiden die kleinen privaten Fragen des Alltags nämlich gerade einmal über die zukünftigen fünf Minuten.»

Ursina Haller (29) hat Politikwissenschaften an der Universität Zürich studiert. Letztes Jahr ist sie aus dem Schweizer Nationalteam der Freestyle-Snowboarderinnen zurückgetreten und will sich nun vermehrt dem Journalismus widmen. Ursina ist Publikumsrätin des Radiotelevisiun Svizra Rumantscha (RTR).


In der Rubrik «Mein Senf» lassen wir jeden Monat jemand Junges zum aktuellen Themenschwerpunkt zu Wort kommen. Alle bisher publizierten «Senf»-Texte findest du unter: #meinsenf


Illustration: Stephan Lütolf
Portrait Ursina Haller: Frank Stolle

Tags: meinsenf traegerschaft

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